Autonomes Jugendzentrum und X-Project machen gemeinsame Sache

4. Juli 2020

Biel Der Umbau des «Chessu» beginnt wohl erst im Februar 2021. Während der Bauzeit möchte das Autonome Jugendzentrum im X-Project unterkommen. Nun hat eine neugegründete Interessengemeinschaft bei der Stadt Forderungen deponiert.

Carmen Stalder

Eigentlich hätte die Sanierung und Erweiterung des «Chessu» längst beginnen sollen. Doch lange kam das 6,1-Millionen-Projekt aufgrund fehlender Finanzierung nur schleppend voran. Im Januar sprach der Bieler Gemeinderat dann ein zinsloses Darlehen von 300 000 Franken zur Schliessung der Finanzierungslücke.
Beim Autonomen Jugendzentrum (AJZ) hiess es damals, dass die Bauarbeiten im Sommer starten sollen (dasBTberichtete).
Doch dann kam Corona – und warf die Pläne erneut über den Haufen. Das Darlehen der Stadt sei noch nicht unterschrieben, ebenso wenig mehrere finanzielle Zusagen, die bisher nur mündlich erteilt worden seien. «Die definitiven Entscheide hätten im Frühling gefällt werden sollen. Doch dann konnten wegen des Coronavirus die dafür nötigen Sitzungen nicht stattfinden », sagt Sheila, die wie viele AJZ-ler nur mit Vornamen genannt
werden möchte.
Ohne definitive Zusagen kein Baustart. Dieser ist nun auf den 1. Februar 2021 angesetzt. Vorausgesetzt, die potenziellen Geldgeber ziehen ihre Unterstützung coronabedingt nicht doch noch zurück. Der neue Termin wurde gestern an einer Medienkonferenz im «Chessu» verkündet. Im Zentrum standen dabei allerdings nicht der Umbau, sondern generell die Zukunft des AJZ und des X-Project. Ersteres sowie mehrere Mieterinnen und Mieter des X-Project haben sich in der Interessengemeinschaft (IG) Ensemble Stark/Gemeinsam Fort zusammengeschlossen.

«Wir haben dieselben Interessen, deshalb sollten wir zusammenarbeiten», sagt Samuel Kunz vom AJZ (ganz rechts). MATTHIAS KÄSER

X-Project zügelt im Herbst
Der Schulterschluss folgt aus der Not heraus. Sowohl das X-Project als auch das AJZ befinden sich in einer – laut eigener Aussage – «schwierigen Lage». Die IG hat deshalb ein Konzept mit sechs Forderungen erarbeitet, das sie diese Woche Gemeinderätin Silvia Steidle (PRR) überreicht hat. Diese bestätigt den Eingang des Papiers. Sie betont, dass es sich bei den Mitgliedern der IG nicht um die Vorstandsmitglieder des X-Project handle.
Das X-Project steht vor dem Umzug an den Rennweg 62. Die Mieterinnen und Mieter können ab September einziehen, im Oktober wird das X-Project dann die Schlüssel für das jetzige Lokal abgeben. Es ist ein Wechsel, der sich schon lange abgezeichnet hat: 2014 gab der Touring Club Schweiz (TCS) bekannt, dass er am heutigen Standort des X-Project, an der Aarbergstrasse 72, einen neuen Geschäftssitz bauen will. Drei Jahre später wurde das Projekt begraben. An den Umzugsplänen des X-Project änderte das allerdings nichts. Denn das Areal hinter dem Bahnhof liegt im Entwicklungsgebiet des Masterplans der Stadt Biel und muss ohnehin irgendwann einer neuen Nutzung weichen. Gemäss Silvia Steidle liegen derzeit Konzepte von zwei Interessenten vor. Noch sei jedoch nichts spruchreif.
Auch deshalb fordern manche Mieterinnen und Mieter des XProject, dass sie länger bleiben dürfen. «Es war nie unser Wunsch, an den Rennweg zu ziehen », sagt Mirco Bähni, der in der IG für das X-Project einsteht. Die Lage hinter dem Bahnhof sei für ein Kulturzentrum viel besser geeignet.

Die bestmögliche Lösung
Das AJZ plagt neben den Geldsorgen für den Umbau die Frage nach einer Übergangslösung. Denn nur weil der «Chessu» während geschätzt zwei Jahren geschlossen bleibt, heisst das nicht, dass die Veranstaltungen
ebenfalls pausieren sollen. «Schliesslich müssen wir gemäss Leistungsvertrag mit der Stadt ein gewisses Angebot erbringen», sagt Samuel Kunz vom AJZ. Schon lange wird deshalb nach einem Provisorium gesucht.
Die Suche führte über Umwege zum X-Project. Hier könnten Veranstaltungen wie die wöchentliche Benutzerversammlung, der Flohmarkt oder kleinere Konzerte durchgeführt werden. Für den «Chessu» wäre es gemäss Kunz die bestmögliche Lösung. Und auch die Stadt zeigt sich verhandlungsbereit: «Wir sind stets bemüht, leere Gebäude oder Räume temporär zur Verfügung zu stellen », sagt Steidle. Bei einem Baustart des «Chessu» im Winter bliebe der Stadt genügend Zeit, um das X-Project-Gebäude zu übernehmen und kontrollieren.
Zuerst sorgte die Idee bei manchen Mitgliedern des XProject für Stirnrunzeln. Den geliebten Ort verlassen, nur damit eine andere Kulturinstitution einziehen darf? Dem anfänglichen Unverständnis ist jedoch die Taktik gewichen, gemeinsame Sache zu machen. Zum Forderungskatalog der IG gehört erstens die Zusicherung des Standorts Aarbergstrasse für das X-Project für mindestens fünf Jahre. Bei diesem Wunsch winkt Steidle ab, für so lange könne man sich nicht verpflichten. Zweitens sollen dem AJZ bis zur definitiven Wiedereröffnung des Gaskessels im X-Project Räume zur Benutzung zugesichert werden. Drittens soll die Stadt das AJZ bei der Durchführung von Events unterstützen – etwa bei der Suche nacheinemalternativen Lokal mit Platz für rund 600 Personen zu einer bezahlbaren Miete. Denn dass imX-Project keine gewöhnlichen Chessu-Partys stattfinden können, ist allen Beteiligten klar: Es fehlt einerseits an Überzeitbewilligungen und andererseits haben Nachbarn wie die Residenz au Lac bereits klargemacht, dass dies nicht infrage kommen würde.
Viertens verlangt die IG, dass auch das neue  Jugendkulturhaus am Rennweg unterstützt wird. Künftig sollen beide Standorte parallel betrieben werden, denn manche Projekte seien auf die moderne Infrastruktur angewiesen. «Wir sind nicht grundsätzlich gegen den neuen Standort, sondern möchten mehr Räume anbieten können», so Deniz Bulakbasi vom X-Project.

Geld für Zircologik
Die fünfte Forderung betrifft den Verein Zircologik, ein Projekt des AJZ, dem rund 100 Kinder und Erwachsene angehören. Während des Umbaus weicht der Zirkus auf einen Raum der MuttschellerMetallbauGmbH an
der Mattenstrasse aus. Anders als im «Chessu» muss der Verein hier 1000 Franken Miete pro Monat bezahlen – und dafür erhofft sich die IG finanzielle Unterstützung.
Sechstens und letztens sollen die Villa Fantaisie und die darin aktiven soziokulturellen Projekte weiter bestehen. Man wolle «keinen Abriss auf Vorrat», jedenfalls solange es keinen konkreten Käufer für die Parzelle gebe.
Die Wünsche sind zahlreich – und sie sind in einem ziemlich fordernden Ton verfasst. Dabei habe man noch manche Passagen entschärft, sagt Kunz schmunzelnd. Er lobt die Partnerschaft mit der Stadt, die Zusammenarbeit sei sehr gut. Das wolle man nicht riskieren und bleibe daher offen für Vorschläge. «Wir wollen einfach nicht, dass unsere Leistungen plötzlich wegfallen», so Kunz.